Der Zwinger
Zur Geschichte eines Gebäudes

1528 bis 1536 an Stelle des alten Nordost-Turmes errichtet, war der Zwinger Teil der städtischen Befestigungsanlage. Mit seinem Durchmesser von 24,3 Metern und seiner ursprünglichen Höhe von fast fünfzehn Metern ist er den großen Wehrtürmen Goslars vergleichbar. Alte Abbildungen zeigen ihn mit Kegeldach und Schießscharten. Im frühen I7. Jahrhundert wurde erwo' gen, den Wehrturm zum Gefängnis umzubauen. Diesen Gedanken verwarf man vorerst. Der Zwinger beher bergte stattdessen erst eine, dann zwei Roßmühlen - die Treträder der Mühle hielten Pferde in Bewegung, außerdem wurde er als Pulverlager benutzt. Erst 1732 baute man den ehemaligen Wehrturm zu einem Gefängnis um.

Johann Conrad Schlaun zeichnete die neuen Pläne für dieses Gebäude. Den Zwinger, nun ein Gefängnis, integrierte er in eine Gesamtanlage mit einem zweiflügeligen Zuchtbaus. Die drei Stockwerke des Baus erhielten je sechs Zellen: die im Kellergeschoß waren ohne Licht, die Zellen im Erdgeschoß besaßen je ein kleines Fenster zum kreisförmigen Lichthof, die im Obergeschoß hatten nicht nur Fenster, sondern ließen sich sogar beheizen. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Gefängnis aufgelöst.

1911 erwarb die Stadt den nun unter Denkmalschutz stehenden Zwinger. Nach einigen baulichen Veränderungen nutzte man ihn nach dem Ersten Weltkrieg für Notwohnungen. Es quartierte sich dort unter anderem ein Maler ein. I938 übergab die Stadt in einem feierlichen Akt den Zwinger an die Hitlerjugend, die sich darin mit neu ausgestatteten »Schar und Jungvolkräumen« niederließ. In den letzten Kriegsjahren übernahm die Gestapo das Gebäude. Im engen Lichthof wurden polnische und russische Kriegsgefangene hinge' richtet, die Technik war, jeweils vier Menschen gleichzeitig aufzuhängen. Gegen Ende des Krieges zerstörten Bomben das Dach und den Innenhof und von diesem Zeitpunkt an verlor der Zwinger seine praktische Funktion.

Die Stadt vermauerte und verbarrikadierte von außen die Fensteröffnungen und Türen und verweigerte damit jeglichen Zutritt, so wurde Distanz zum Grauen der vergangenen Jahre erzwungen. Von außen verschlossen, doch im Innern durch eine klaffende Wunde geöffnet und jeder Witterung ausgesetzt, entwickelte sich im Zwinger zaghaft neues organisches Leben. Bäume streckten sich aus den Wänden und Fensterhöhlen gen Himmel. Farne und Moose überwucherten die Treppen und Gänge - ein wilder Paradiesgarten überlagert das einst kahle Gemäuer.

R.H. / E.D.