Parallelen >Die Wiese lacht oder das Gesicht in der Wand< ist der Titel der Arbeit von Harald Klingelhöller für die Neugestaltung des Innenhofes der Rechtswissenschaftlichen Fakultät im Rahmen der Ausstellung >Skulptur Projekte Münster 1987<. Vor notwendigen Sanierungsmaßnahmen war dort ein grasbewachsener Hof, Steinplattenwege führten entlang der Mauern zu den in den Ecken befindlichen Zugängen von Bibliothek und Vorlesungssälen. Ein unregelmäßiger Baumbestand bestimmte das Erscheinungsbild des Geländes. Dieser abgeschlossene Hof liegt innerhalb der universitären Gebäude im westlichen Teil der Innenstadt von Münster. Die umgebenden Gebäude sind architektonisch bestimmt von einer Backsteinarchitektur der frühen fünfziger Jahre. Ein deutlich überproportioniertes Tor an der Südseite des Hofes ist hervorstechendes Merkmal der Anlage und zugleich auch Indikator einer Unarchitektur. Das Tor, das in diesen Ausmaßen keine Funktion erfüllt und zudem außerhalb des Hofes keine logische, richtungsmäßige Fortführung zeigt, ist, reduziert auf Monumentalität, eher ein emblematisches Motiv, das auf die ideologische Abstammung dieser Architektur aus der Zeit vor 1945 verweist. Bei der Neugestaltung dieses Geländes wurde zunächst ein neuer Grundriß geschaffen, der dem Hof eine Struktur verleiht, die der hierarchischen Strenge entgegenwirkt. Von den gestalteten Rasenflächen ausgehend, schiebt sich eine Rechteckform verkantet in die Hofmitte, die mit einer Basisseite an dem Weg entlang eines Arkardenganges angelegt ist. Ein Weg führt in annähernd diagonaler Richtung zum Tor im Süden. Links davon erkennt man eine spitzwinklige Dreieckform, die sich in den Hof zu schieben scheint, sodaß der Eindruck entsteht als wenn eine Bewegung geometrischer Rechteckformen unterhalb des Hofes verläuft. Die dominant diagonal weisenden Kantenverläufe der Grundrißfiguren mit der neuen Wegeführung stehen im deutlichen Widerspruch zur strengen Axialität der Architektur. Die eigentlich
skulpturalen Elemente dieser Hofgestaltung sind nun auf
der großen Rechteckform angeordnet. Sie bestehen aus I6
kugelförmig zugeschnittenen Eiben (taxus baccata) und 5
pyramidal zugeschnittenen Eiben sowie einem aus
verspiegelten Glas errichteten Geländer. Die
Konstellation dieser Bestandteile folgt nun der strengen
geometrischen Ordnung, die nach den Achsen der
Architektur ausgerichtet ist. Das im Süden befindliche
Tor war hierfür der Orientierungspunkt; in dieser Achse
befindet sich die Skulptur, die in ihrer Binnengliederung
die 16 kugelförmigen Eiben auf der Grundfläche eines
Quadrats zu vier mal vier Reihen zeigt, die
Pyramidalformen erscheinen dahinter gereiht, parallel zu
ihnen vervollständigt das verspiegelte Geländer die
Skulptur. Die präzise Anordnung der Skulptur folgt hier
symmetrischen Gesetzen, wie sie auch in der Architektur
vorgegeben sind, aber zugleich mittels der
Grundrißgestaltung des Hofes wieder aufgebrochen werden.
Aus diesem Wechselspiel der perspektivischen
Wahrnehmungen von Grundriß, Skulptur und Umraum mit den
zahlreichen schneidenden wie auch divergierenden Linien
und Konturverläufen bezieht diese Installation ihre
ästhetische Qualität und artikuliert das Thema der
Arbeit, die Wahrnehmung des Hofes mit allen
Bestandteilen, die Frage nach der Bedeutung der Formen
von Architektur und Skulptur, die nun parallel
erscheinend, die Kongruenz der Wahrnehmungen in Frage
stellen. Obwohl hier die Anlage nach objektiven
Kategorien mit der Sprache geometrischer Formen gebildet
ist, verliert sich ein gesichertes Erkennen der
Wirklichkeit. Die früheste Innenraumplastik von 1985 zeigt drei Formengruppen, bestehend aus einer Anzahl von farbig gefaßten Gipskugeln, welche in spielerisch erscheinender Anordnung um ein verspiegeltes Geländer gruppiert sind, mit zwei spitzdreieckigen Pyramidenformen aus Gips in verschiedenen Grüntönen, welche einseitig eine Mauerstruktur zeigen. Alle Elemente sind unverbunden zueinander gruppiert. In der nachfolgenden Variation werden am Motiv des Balkons alle vollplastischen Formen als flächige Elemente realisiert, das Kreissegment findet sein Pendant in der Brüstung, die Pyramide als Dreieck zwischen den Streben, die Kugel in der scheibenförmigen Öffnung einer Balkonform. Zudem existiert die Skulptur aus der Wiederholung ihrer Formen, eine zweiteilige Arbeit mit identischen Elementen. Die Plastik besteht offensichtlich aus Volumen, die durch die Verwendung der Wellpappe als Hohlkörper gekennzeichnet sind. Die deutlichen Einschnitte an den Kanten lassen die hautähnliche Struktur dieser Formen erkennen. Trotz der Negation von Masse erweist sich das Material durch die Art der Verwendung als tektonischer Werkstoff, mit dem die Elemente in eine rationale Ordnung gebracht werden. Mehrere dieser balkonartigen Formen sind so ineinandergesetzt, daß die rhythmische Abfolge einen alternierenden Wechsel von Bogensegmenten erkennbar werden läßt. Die Sparren dieser Teilformen verjüngen sich, so daß sie nun durch die teilweise ineinandergreifende Schrägstellung lotrecht erscheinen, die präzise geschnittenen Kreisöffnungen sind fragil, was ihrer Tektonik entgegenwirkt. In der Aufsicht sieht man zwei kalkuliert eingefügte Spiegelflächen in der Höhe, daß ein Betrachter sein Gesicht erkennen kann. Der Spiegel ist sowohl Mittel, die Materialität der Formen aufzulösen, als auch die Elemente der Umgebung zu reflektieren. In der dritten Plastik, die im Gegensatz zu den vorher besprochenen wie aus einem Stück erscheint, finden sich Kreis und Dreieck in den konstruktiven Elementen der Form wieder. Die zweireihige Abfolge von Sparren, - eine Reihe ist durch Waagerechte und Diagonale, die andere durch Waagerechte und Kreisform zusammengehalten, - suggeriert durch Kipplage ihrer tektonischen Struktur zum Trotz den Eindruck von Instabilität. Die Plastik zeigt in frontaler Ansicht eine gitterartige Struk' tur, aus seitlicher Ansicht ist sie als fast geschlossener Körper wie ein Käfig zu sehen. Eine eingefügte quadratische Spiegelfläche befindet sich nun auf der verbindenden Strebe zwischen den Sparren, um den Zugang in die Zwischenräume zu versperren. Da die Skulptur an eine Wand gelehnt werden muß, um überhaupt zu stehen, bildet sie mit der Wand einen Raum zwischen Skulptur und Architektur. Unter formalen Gesichtspunkten ist allen Plastiken einschließlich der Außenarbeit im Juridicum ein Kanon geometrischer Figuren auf der Basis von Kreis und Dreieck gemeinsam. Diese Motive erscheinen um ein bogenförmiges Geländer gruppiert oder wie in einen Balkon hineingefügt. Dem Architekturmotiv >Balkon< kommt somit innerhalb dieser Werkgruppe eine Bedeutung zu, die sowohl skulptural, und das meint räumlich auf die Umgebung wie auch plastisch auf die Volumen bezogen, als auch inhaltlich auf den Titel verweisend, metaphorisch ist. Ein Geländer hat die Funktion von raumausgrenzenden Einteilungen, ein Balkon ist dadurch definiert, daß er eine Zone zwischen Innen' und Außenverhältnissen schafft, indem er noch zum innenräumlichen Bereich von Architektur zählt, aber schon deutlich vor der Außenmauer liegen kann. Übertragen auf die beschriebenen Elemente der Skulpturen arbeitet Harald Klingelhöller mit diesem Architekturmotiv, indem er es als freistehende Bogenform einsetzt, die, weil sie ohne Anbindung frei im Raum steht, eine Grenze im Raum schafft, an der Innen und Außen gebrochen werden, oder aber in der Wiederholung als ineinandergefügte Formen einen Ort umschließen. Diese abgrenzende Funktion ist schließlich in der käfigartigen Skulptur gesteigert, eingeschlossen in die Gitterstruktur erscheinen nun die Kreisformen wie eingebunden in einer Mauer, als verbildlichten sie maskenhafte Augen, das »Gesicht in der Wand«. Die zu vor rein formal betrachteten Motive evozieren in Verbindung mit dem Titel Bilder, ohne illustrativ zu sein. In einer gedanklichen Parallele verhalten sich die verbalen Titel zu den plastischen Formen wie zwei Elemente einer Metapher. Bestimmte geometrische Formen sind Standart in der Grammatik von Bildhauerei und Architektur. Sprache ist der größte gemeinsame Nenner der Verständigung und zugleich ein Ort von Öffentlichkeit, bildhafter Kommunikation, weil wir uns mit sprachlich geprägten Bildern die sichtbare Wirklichkeit unseres Lebensraumes aneignen. Einzelne Wörter sind Bezeichnungen, die erst im Kontext von Worten einen Sinn ergeben, Sprache wiederholt Begriffe, um in der Kombination von Wörtern je unterschiedliche Bedeutungen zum Ausdruck zu bringen. Parallel zu dieser Grammatik schafft der Umgang mit plastischen Vokabeln Variationen von Skulpturen, die bei dieser Werkgruppe mit dem Titel >Die Wiese lacht oder das Gesicht in der Wand< zusammengeschlossen sind. Hier äußern sich höchst gegensätzliche Momente, naturhafte Raumvorstellungen, Wiese und artifizielle Produkte der Raumgliederung, Wand, verbunden mit anthropomorphen Eigenschaften wie Lachen und Gesicht. Allein im Medium der Sprache verbinden wir solche Begriffe, um darin einen empfundenen Zustand kommunizierenden Ausdruck zu geben. Die Skulptur und ihr Titel sind verbunden, um der Vereinheitlichung von Bedeutungen entgegenzuwirken. Der Betrachter muß die Skulptur sehen und ihre körperhaften, materiellen wie formalen Eigenschaften erkennen, um eine bildnerische Bedeutung sich zu veranschaulichen. Ebenso soggerieren die Titel Bedeutungen, die allein nach sprachlicher Maßgabe gedacht werden. Skulptur und Titel fordern die Erkenntnis heraus, daß die Begriffe nicht das Gesehene decken. Es ist der Zwiespalt, die Zwiesprache, sich paralleler Bedeutungen in beiden Medien zu vergewissern, um darin auf das je eigene Verhalten von Bedeutungen zu stoßen. Die Skulpturen könnten somit das Bemühen vorstellen, in der Bildhauerei ein Äqivalent zu schaffen für ein Empfinden, für das es in der Sprache möglicherweise einen Ausdruck gibt. Die Betrachtung bewirkt die Aneignung - von disparaten Bedeutungsebenen. Übertragen auf die Gestaltung des Innenhofes war es die Absicht, mit den Elementen von Grundrißdisposition und Skulptur einen Eingriff zu schaffen, der, gerade weil er wortwörtlich von allen Seiten umschlossen ist, parallel existiert und in einer Eigenständigkeit der Formen unverbunden zur Architektur erscheint, so daß diese ihre Bedeutung hält wie die Skulptur auf sich zurückgezogen ihren Sinn behauptet. In der Geschichte der bildenden Kunst sehe ich diese Gestaltungsmethode vergleichbar in Bildern von Paul Klee. Neben einer umfangreichen Tradition von Arbeiten mit sprachlichen Elementen verbunden mit bildnerischen Mitteln, wie sie die Kunst des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat, finden sich gerade bei Paul Klee unter ausschließlich formalen Aspekten Analogien und dies besonders in Bildern der letzten zehn Jahre seines Schaffens. Weit über den Grad von Abstraktion hinaus suchen die Bildelemente in Gemälden und Zeichnungen von Klee die Balance von Abstraktheit und Semiotik. Ein Bildganzes besteht aus der ausgeglichenen Komposition linearer Formen, Bogenmotive, Striche, Punkt oder Kreisformen, Elementarzeichen, die ausschnitthaft betrachtet, aus dem Nebeneinander im Betrachter sich zu Signifikanten anthropomorpher Vorstellungen ordnen, um aber im gleichen Moment, zusammen mit anderen Zeichen gesehen, sich zu verändernden Bildinformationen gruppieren. Wenn Paul Klee seinen Bildern nachträglich irritierende Titel gab, so steigert sich darin das Bedürfnis, die Frage nach Bedeutungen von Zeichen und Begriffen auszuweiten. Von einer sprachphilosophischen Seite aus hat Emesto Grassi dieses Problem zu fassen versucht: >Die Macht des Bildes: Ohnmacht der rationalen Sprache< (Köln I970). Ausgehend von der Prämisse, daß im rationalen Denken (Descartes) eine bildhafte Sprache, wie sie zuvor in der antiken Tradition der Rhetorik gegeben war, heute nicht mehr von Bedeutung ist, weil das Bildhafte unwissenschaftlich wirkt, geht Grassi auf die Unterscheidung Aristoteles' einer deutenden (Hermeneutik) und hinweisenden (Semantik) Bestimmung der menschlichen Sprache zurück. Die semantisch-weisende Sprache ist dem Sehen entnommen und insofem wesentlich vom Bildlichen bestimmt, » Die Zusammenhänge ergeben sich nicht rational, kausal, sondern zeigen sich in metaphorischen, bildlichen Einsichten« (S. 78). Diese Bestimmung von Sprache, die nach Grassi aber im >vorphilosophischen< Bereich liegt, wirft nun die Frage nach der Stellung von Bildern im heutigen rationalen Sprachgebrauch auf und er kritisiert zugleich auch eine Unzulänglichkeit rationaler Begriffe. Weil es aber der Sprache bedarf, um »Sinneserscheinungen« (Ästhektik) in »Sinnesfeststellungen« (Empirie) zu formulieren, greift Sprache auf die Metapher zurück, wie sie im Rhetorischen ursprünglich verankert ist. "Die Metapher gründet auf der Entdeckung ähnlicher Bedeutungen, sie deutet auf Gemeinsames, das auf verschiedenen Ebenen steht« (S. 170). Grassis Abhandlung, im Untertitel >Zur Rettung des Rhetorischen< genannt, mündet in einem Plädoyer für ein humani' stisches Bewußtsein bildhafter Sprache, daß nach Grassi in den Rhetorik-Regeln des Quintilian (>Institutiones oratoriae<) angelegt ist. Dort findet man als Beispiel die Metapher, die titelstiftend für die Skulpturen von Harald Klingelhöller gewählt wurde. >Die Wiese lacht< (pratum ridlet). Dieser Ausdruck ist, zitiert nach Quintilian, ebenfalls in der philosophischen Abhandlung von Hans Blumenberg >Ausblick auf eine Theorie der Unbegriffflichkeit< von Interesse (in: H. Blumberg, Schiffbruch mit Zuschauer, Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt 1979). Blumenberg geht dort der Frage nach, was eine sprachliche Komposition als Metapher zu leisten vermag und, in Erweiterung der Fragen Grassis, wie sehr sich auch die in ihr gefaßten Bilder und Bedeutungen einer Verständniswandlung unterziehen. >>Was in den Eigenschaften einer Wiese unter objektivem Aspekt nicht vorkommt, aber auch nicht die subjektiv-phantastische Zutat eines Betrachters ist, der nur für sich die Konturen eines menschlichen Gesichts aus der Oberfläche der Wiese herauslesen könnte (ein Spiel, das zur Besichtigung von Tropfsteinhöhlen gehört), wird von der Metapher festgehalten. « Sie leistet dies, indem sie die Wiese dem Inventar einer menschlichen Lebenswelt zuweist, in der nicht nur Worte und Zeichen, sondern die Sachen selbst >Bedeutungen< haben, deren anthropogenetischer Urtypus das menschliche Gesicht mit seiner unvergleichlichen Situationsbedeutung sein mag« (Blumenberg, S. 79). Nach diesen Ausführungen läßt sich das Verständnis von Gestaltungsmethodik und Komposition aus einer Wurzel ableiten, die nicht allein in der Bildenden Kunst, sondern vielmehr und ursprünglich in der Rhetorik verankert ist. Komposition entstammt ur sprünglich den Regeln der antiken Rhetorik. In einem der Rhetorik zugrundeliegenden Verständnis meint Komposition die Kunst der Wortwahl, Wortfügung und des Wortrhythmus, um einen Gedanken sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Erst die Kunsttraktate der Renaissance wenden den Begriff und die Bedeutung von Komposition an Werken der Bildenden Kunst an, wie er seither verstanden wird. Insofern stellen nun die Plastiken Harald Klingelhöllers keine noch so weitgeführte Abstrahierung einer abbildverpflichteten Darstellung vor, wie sie ebenso wenig ein kontextloses, allein auf sich selbst bezogenes Abstraktum setzen. Sie sind sowohl Rekonstruktion als auch utopische Aussicht auf eine bildhafte Formen' sprache, die verloren zu sein scheint, obgleich die archetypischen Strukturen noch wie ein Relikt im Sprachgebrauch verwurzelt sind und überliefert werden. F. M. |